…entlang der Côte d’Albâtre

Die erste Tour ans Meer dieses Jahres führte mich mit Thürmer Tours an den Atlantik in die Normandie. Hier erstreckt sich zwischen Le Tréport im Norden und der Seine-Mündung im Süden, am westlichen Rand des Pays de Caux die gut 120 Kilometer lange Côte d’Albâtre.

Ausgansbasis für unsere Touren während der Fotowoche Mitte März war das beschauliche Küstenstädtchen Étretat. Untergebracht im Hôtel le Rayon Vert, lag uns der Strand samt Strandpromenade sprichwörtlich, in erster Reihe, zu Füßen. Hier führt unter anderem auch der prämierte Küstenwanderweg GR 21 entlang, so dass wir zu unserer linken wie auch unserer rechten Seite auf gut ausgebaute Wanderwege stießen. Diese boten uns an der Steilküste beeindruckende Aussichten bzw. Tiefblicke.

Bei Ebbe fotografierten wir am Strand und dem Riff gut erreichbar zwischen Falaises d’Aval und Porte d’Amont, meist mit trockenen Füßen. Bei Flut hin gegen hieß es mal links mal rechts von der Strandpromenade hinaufzusteigen, bis wir die an die einhundert Meter hohen Klippen erreichten. Von hier ergab sich eine zu beiden Seiten faszinierende Motivkulisse, an der wir uns über Stunden austoben konnten.

Kreidefelsen? Das ruft Erinnerungen an die Kreideküste von Rügen ins Gedächtnis. Auch wenn es sich bei beiden Küsten um das gleiche Grundmaterial handelt, sind sie nicht miteinander zu vergleichen. Hier am Atlantik rauschen die Wellen mit Westwind an die Klippen, wo sie sich mit einer lauten, tosenden Geräuschkulisse brechen, die bis auf die Klippen hinauf zu vernehmen ist. Beobachteten wir die Wellen unten am Strand, wirkte das Rollen der Steine, die von der Strömung des zurückweichenden Wassers, mitgezogen werden, meditativ beruhigend. Doch wie war das noch gleich: jede siebte Welle kommt höher als die vorherigen… Im Gegensatz zu dem dichten Buchenwald, den das Hochufer auf Rügen säumt, sind es hier Felder und Wiesen sowie ein Golfplatz oberhalb von Étretat. Letzterer versucht verloren gegangene Steine am Fuß der Klippen mit fehlgeleiteten Golfbällen aufzufüllen.

Die tosenden Wellen die unaufhörlich an Strand und Klippen laufen, der kalte Wind, der uns um die Ohren wehte, sie lassen das Wasser deutlich höher auflaufen um diese Jahreszeit. Das ist unter anderem der Grund für unseren frühen Besuch der Alabasterküste. Auch wenn die kleinen, farbenfrohen Fischerboote, die über die Sommermonate die Strände säumen jetzt noch im Winterschlaf liegen. »Jetzt« toben die Wellen, wühlen das flache Wasser in Strandnähe auf, was ihm seine leuchtende Farbe gibt. Sicherlich, die Sommermonate versprechen stabilere und vor allem eine wärmere Witterung, doch wir sind auf der Suche nach der rauen, ungestümen Kraft, mit der die Natur hier die Küste formt. Kündigte die Wettervorhersage eine regnerische Woche mit Sturm an, begleitete uns ein Sonne-Wolkenmix bei kühlen bis milden Temperaturen mit kräftigen Windböen und vereinzelten Regenschauern. Flogen nachts gelegentlich die Mülltonnen vom Wind getrieben durch die Straßen, galt es tagsüber bei abgeschwächtem Wind das Stativ so zu positionieren, dass es den Windböen stand hielt. Hier unterstützte uns je nach Kamerasystem der Bildstabilisator, um den Ausschuss mit verwackelten Bildern zu reduzieren.

Motive fanden wir im Verlauf unserer Reisewoche neben unseren Fotowanderungen entlang der Klippen und dem Strand von Étretat, auf Ausflügen nach Norden in Richtung Fécamp. Sowie in den Süden nach Honfleur mit seinem pittoresken Hafenbecken am Rand der Seine-Mündung. Dabei kreuzten wir immer wieder die Spuren der Impressionisten, die hier im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die Landschaft als Motivkulisse nutzten. So erinnert heute die »impressionisms routes« (mehr bei der »European Federation of Artists’ Colonies«) an die Künstler und ihre Werke dieser Epoche.

Honfleur, eigentlich liegt der heilige Berg der Normandie »Mont Saint Michel« ja schon zum Greifen nah. So verließen wir das kleine Hafenstädtchen in Richtung Süden mit der Zieleingabe des Sammelparkplatzes des UNESCO Weltkulturerbes. Dort angekommen, erreichten wir mit dem Sammelbus die Insel, bei ablaufendem Wasser. Ein kurzes Innehalten am Fuß der Stadtmauer und schon begaben wir uns auf Entdeckungstour, die wir mit einem kurzen Abendessen unterbrachen. Ein Besuch der Galerie von Vincent M. direkt unterhalb der Abtei zählt für mich beim Besuch des Berges zu einem unbedingten Muss. Er widmet seine Arbeit sprichwörtliche dem Berg. Zwar verwehrte uns die Abenddämmerung einen farbigen Sonnenuntergang, doch offenbarten uns die historischen Gemäuer eine beeindruckende Kulisse, die wir gleichermaßen im Farb- wie im S/W-Modus fotografierten. Im Zeitalter des »Energie sparens« bot der Berg lediglich eine unbeleuchtete nächtliche Motivmöglichkeit.

Wieder zurück in Étretat, lassen Wind und Brandung zur Wochenmitte nach. Bei fast windstiller Witterung erkundeten wir trockenen Fußes den Strand samt der Klippen vorderhalb der Trou à l’Homme. Hier besteht seit einiger Zeit ein Betretungsverbot der Höhle bzw. des Tunnels, das konsequent unter Androhung von Geldstrafe umgesetzt wird. Aus fotografischer Sicht ist das schade, denn damit ist das Erreichen des Porte d’Aval und der Aiguille d’Etretat sowie die Valleuse de Jambourg nach dem Passieren der Höhle leider nicht mehr möglich.

An unserem letzten Tag nutzten wir die Ebbe in den Vormittagsstunden und machten uns zu Fuß auf den Weg durch das Valleuse d‘Antifer an den Plage d’Antifer (bzw. Plage du Tilleul). Rechter Hand führt der Strand vorbei an zwei großen Felsstürzen, die lediglich bei Niedrigwasser zu passieren sind. An der senkrechten Felswand des Pointe de la Courtine angekommen, durchklettern wir das sogenannte Schlüsselloch, wo wir mit Hilfe einer Leiter durch das Felsmassiv auf der anderen Seite ans Wasser gelangten. Von hier ging es über das von der Ebbe freigelegte Kreidekliff zum nächsten Felsvorsprung (le Pertuiser). Wo wir einen Blick durch das Felsentour von Manneporte auf die Aiguille d’Etretat erhaschten. Im Anschluss ging es flotten Schrittes zurück über die Kreiderinnen und das Schlüsselloch an den Plage d’Antifer. Dort wieder angekommen, freuten wir uns, dass Schuhe samt Füße trocken geblieben sind.

Das Abschlussmotiv unserer Fotoreise finden wir auf den Spuren Monets am Plage des Petites Dalles. Das auflaufende Wasser der Flut beschwerte uns eine letzte schöne Brandung, die wir mit Hilfe der Graufilter in eine weiche Gischt unterhalb der schroffen Kreidefelsen verwandelten. Während die Kameras mit der Rauschreduzierung nach der letzten Aufnahme beschäftigt waren, verstauten wir bereits die Filter, da es im Augenblick anfing zu regnen. Während wir zusammenpackten und uns auf den Weg zum Auto machten, das in ca. 150 m Entfernung parkte, nahm das Tröpfeln stetig zu. Am Auto angekommen, verstauten wir im Hand umdrehen unsere Fotorucksäcke samt unseren Stativen. Die Autotüren schlugen zu und im gleichen Moment ertönte ein Trommelfeuer von großen schweren Regentropfen auf dem Autodach wie auf der Windschutzscheibe.

Zurück im Hotel, genossen wir nach einer heißen Dusche unser letztes gemeinsames Abendessen, bevor es am Samstagmorgen nach dem Frühstück in Richtung Deutschland ging.

 

P.S.: Die Küste von Étretat bzw. der Normandie bot neben den Impressionisten auch den frühen Fotografen eine breite Motivkulisse. Hier zeigt das Archiv von Gustave Le Gray einen Blick in frühere Landschaftsszenen entlang der Küste, z.B. in „Pioniere der Landschaftsphotographie“ (Ausstellung im Städel Museum, 1993). Der Katalog »Eine neue Kunst. Photographie und Impressionismus« des Museums Barberini, gibt ebenfalls einen guten Ein- wie Rückblick. Neueren Datums sind die Aufnahmen Elger Esser, sein Bildband »Cap d‘ Antifer – Étretat« lädt ebenso ein zum Schwelgen. Ähnlich wie die »Seestücke« des Stuttgarter Fotografen Berthold Steinhilber. Er entführt seine Besucher(innen) allerdings zu einer weiter gefassten Bilderreise entlang von Küstenlandschaften.