Die einen pilgern dem gemeinsamen Sehnsuchtsort zum Maskenfieber in den Faschingstagen entgegen, während ich am liebsten Abseits der Menschenmassen auf Motivsuche durch die unzähligen Gassen entlang der Kanäle schlendere.
So nutzte ich in Begleitung eines befreundeten Fotografen, die letzte Novemberwoche, um mich nach anderen Motivmöglichkeiten abseits der bekannten Hot-Spots umzuschauen und nicht zuletzt auch fotografisch auszuprobieren. Eine preiswerte Ausgangsbasis für die Streifzüge durch die Sestieris (die sechs Stadtviertel Venedigs) bot uns das Hotel Belle Arti auf Dorsoduro.
Ganz gleich was uns die Witterung vor Ort so bescheren sollte. Im Fokus standen (für mich) der morbide Charme der verwitterten Fassaden wie auch bei verschiedenen Perspektiven der Minimalismus. Ich bin immer wieder verblüfft, wie sich hier zwischen all den historischen Gemäuern, das moderne Leben seinen Weg gebahnt hat. Ein Blick auf die Elektrik, die häufig entlang der Außenfassaden verläuft, fühle ich mich an arabische Länder erinnert. Ich vermute so manchem Elektriker der nördliche der Alpen zu Hause ist, würde es hier, vorsichtig formuliert, die Nackenhaare aufstellen – und dennoch: es funktioniert. Konnte ich bei der Motivsuche wirklich auf alle Hot-Spots verzichten? Natürlich nicht! Das gilt allen voran für die Basilica Santa Maria della Salute. Sie „drängt“ sich immer wieder mal präsent in mein Blickfeld.
Wie in den vorangegangenen Jahren fotografierte ich auch bei dieser Entdeckungstour überwiegend im Hochformat, es räumt mir mehr Spielraum in der Bildgestaltung ein. Daneben ließ ich mich, durch Inspiration in der Ferrari Bravo Cornici Venezia (einem Bilderrahmengeschäft am Campo Santa Maria Formosa, mit einer stimmungsvollen Sammlung von Venedig-Bildern in der Schaufensterauslage) auf das Bildformat quadratisch ein. Interessant, wie sich daraufhin die Sichtweise sowie die Wahrnehmung von Motivmöglichkeiten verändert.
Farbexplosionen, für die die Lagune ebenfalls bekannt ist, gab es im Verlauf meines Aufenthaltes genau einmal. Das war der Mittwochabend, wo mein Blick von Burano über die Lagune bis zu den knapp 60 km entfernten Euganeischen Hügeln südwestlich von Padua reichte. Die Hügelkette vulkanischen Ursprungs, ist auch bekannt als „das grüne Paradies in Venetien“. Die Farbenpracht der Wasseroberfläche in der Lagune, erinnert mich auf alle Fälle an die Erzählungen in Monets Briefwechsel aus dem Jahr 1908 (Die Geschichte einer Reise, erschienen bei HATJE CANTZ).
Über das Jahr hatte ich mir eine Liste interessanter Orte, für meine folgenden Venedig-Besuche erstellt. Doch wie das Leben so spielt, auch Städte entwickeln sich weiter. So sind verschiedene Spots in der Form mit unter gar nicht mehr existent, andere befinden sich gerade im Umbau – sprich sie zeigen sich als Baustelle.
Was nicht fehlen durfte, war der obligatorischer Besuch bei Nico (der Witterung angepasst allerdings ohne das sagenumwobene „Gianduiotto“). Er half ebenso dem Regen der ersten Tage auszuweichen, wie ein Besuch des Hauptbahnhofs Venezia Santa Lucia. Hier Stand mir, zum Leidwesen der Bahnreisen, der Streik der Lokführer hilfreich zur Seite. So dass ich hier auf leergefegten Bahnsteigen fotografieren konnte. So boten sich mir hier mal ganz andere Venedig-Motive – trockenen Fußes.
Wie in den vorangegangenen Jahren, konnte ich der Lagune auch dieses Jahr nicht den Rücken zukehren, ohne das sie mir das Versprechen abgerungen hat, wiederzukommen. Es gibt noch viel zu Entdecken – nicht nur bei Tageslicht.
P.S.: Unter all den Menschen, die sich da durch die venezianischen Gassen schlängeln, kann es auch mal vorkommen, dass ich auf mir bekannte Gesichter stoße. So beispielweise Kollege Warkentin. Karl erzählte mir beim Abendessen, dass er sich bei diesem Venedig-Besuch auf ein Experiment eingelassen hat: Eine Kamera, drei Objektive – kein Stativ! Wozu auch ein Stativ, wenn er sich ausschließlich Tagsüber der Street-Photographie mit dem Handy zuwendet. Einblick in sein Fotoexperiment biete diese Galerie auf seiner Web-Seite.